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letzter Beitrag vom 8.1.2010
Von den USA lernen-heißt siegen lernen?

Alte Sprüche-neue Sprüche

Es war zu Ostern im Jahre 1993. Ich fuhr mit dem damals noch in tiefem Rot gehaltenen, drolligen Schienenbus auf der Strecke von Neuruppin nach Oranienburg. Das Gefährt holperte durch den Ort Herzberg auf der reparaturbedürftigen, schienenähnlichen Trasse im schleichenden Schneckengang bis nach Löwenberg, wo wir endlich die ausgebaute Hauptstrecke Berlin-Rostock erreichten. Mit Wir, meine ich den Fahrer, die Schaffnerin und meine Wenigkeit, denn andere Fahrgäste gab es nicht.
Dieser Streckenabschnitt war mir wohl bekannt, denn während meiner Zeit am Neustrelitzer Theater bewältigte ich diesen Weg fast täglich. Als der Zug am Haltepunkt Fichtengrund fahrplanmäßig und eigentlich nur der Geste wegen kurz stoppte, sah ich auf dem verwilderten Bahnsteig zwar keine Fahrgäste, jedoch die große Tafel mit einer Losung aus der Zeit des Alten Regimes. Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen. Ich erinnerte mich sofort an dieses Schild, welches einst hoch und erhaben aufgerichtet diesen Bahnsteig zierte. Jedesmal, wenn ich es auf meiner Fahrt nach Neustrelitz sah, ärgerte es mich. Doch jetzt, vom Trohn gestoßen und in Brennnesseln verwachsen amüsierte mich dieses Zeugnis der vergangenen Zeit. Auch die Schaffnerin lachte mit ihrem Zugführer über die längst vergessenen Zeilen.
Da brach es aus mir heraus. Obwohl sich der Triebwagen schon wieder in Bewegung gesetzt hatte und vorsichtig losschlurfte, rief ich laut :Halt, halt, ich will dieses Schild mitnehmen! Sicher hatte ich es der privaten Athmosphäre im Wägelchen zu verdanken, doch der Triebwagen hielt tatsächlich auf meine Bitte, trotz Dienstvorschrift und deutscher Bahntradition. Ich durfte schnell herausspringen und die Tafel holen. Erst als ich das Ding in den Händen hielt bemerkte ich, auf welche Schlepperei ich mich eingelassen hatte. Dieser mit bemalter Leinwand bespannter Holzramen war riesengroß, über zwei meter breit und fast einen meter hoch. Doch nun mußte ich mich damit plagen, es gab kein Zurück mehr.
Auf dem Rest der Strecke bis Oranienburg überlegte ich, was nun aus dem Schild wird. Ich könnte es den Leuten im damals noch besetzten Haus gegenüber schenken oder an die Fassade meines Hauses heften. Auch könnte das Schild als Osterüberraschung für meinen Sohn dienen, wenn er es überhaupt haben will. Die hämische Freude beim Anblick dieser Zeilen wird vermutlich meiner Generation vorbehalten bleiben. In Oranienburg verabschiedete ich mich mit freundlichen Grüßen zum Fest von meinem Bahnteam und ich trug mein großes Osterei durch den Tunnel zur S-Bahn.
Was mich auf meinem restlichen Heimweg jedoch für Blicke trafen, das hatte ich bei meinem spontanen Aufschrei in Fichtengrund nich bedacht, ja nicht einmal vermutet. Haßerfüllte Gesichter wandten sich von mir ab und einige Passanten spuckten sogar laut hörbar auf die Straße. Mein Spaziergang durch Berlin erschien mir wie ein Spießrutenlauf. Es gab sogar einen Moment, in dem ich mich des Schildes unaffällig entledigen wollte. Ich war jedoch keinen Augenblich dazu in der Lage diese Unaffälligkeit herzustellen. Also, hielt ich durch und versuchte mit souveräner Miene die Beute in meine Wohnung zu schleppen.
Wie ich schon vermutet hatte, fanden sich keine Liebhaber für dieses Fundstück. Weder die Punks im Nachbarhaus, noch mein Sohn zeigten großes Interesse an dieser hart erkämpften Tafel. Die Zeit war 1993 einfach noch nicht reif für einen Spaß dieser Art.
Jetzt, in den Wochen nach dem 11. September erhält der Spruch auf dem im Keller verschwundenen und verstaubten Schild für mich eine neue Bedeutung. Die devote Haltung der DDR-Regierung gegenüber der Sowjetunion erzeugte damals im Osten ein Medienbestimmendes Vokabular, welches längst vergessen schien und jetzt nur in leicht abgeänderter Form erneut in mein Ohr dringt. Ich könnte den Namen Sowjetunion von der Tafel streichen, durch die Buchstaben USA ersetzen und so höchstes Entzücken bei den jetzt Regierenden auslösen. Ich hielt es jedoch für besser, das Schild nur für einen kurzen Fototermin aus der Kellerhaft zu entlassen.

22.10.2001
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