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letzter Beitrag vom 8.1.2010

Grusel zu Pfingsten

Auf diesem Foto ist nicht etwa ein geldgieriger Pianist abgebildet, der sich die Zähne an den Tasten ausgebissen hat, nein, um diesen Schädel rankt sich die folgende gruselige Pfingst-Geschichte, die mir ein Freund, der aus mir unerklärlichen Gründen nicht genannt werden will, für meine Seite unter der Rubrik "Gästetexte", aufgeschrieben hat.
Es ist schon lange her, oder ich könnte auch mit "es war ein mal" beginnen, denn die Geschichten aus dem Studienalter, die so viel Zeit unentdeckt im Gehirnkasten verbracht haben lösen sich mit voranschreitenden Jahren immer leichter aus den trägen Windungen und sind dann plötzlich da, begleitet von einem schallenden Gelächter. In der Hoffnung, nicht alleine lachen zu müssen, habe ich hier eine Begebenheit zu Papier gebracht.
Wenn Vaters Geburtstag naht, dann will man nicht als Depp dastehen und ein spektakuläres Geschenk in den Händen zu haben ist nicht nur für den Jubilar, sondern auch für den Geber ein freudiges Ereignis. Da es sich hier um einen Geburtstag handelt, der mitten in der DDR-Epoche angesiedelt ist, sind Schwierigkeiten in der Beschaffung eines solchen Geschenks, welches wirklich spektakulär erscheinen sollte unumgänglich. Sicher, auch heute hat es der Gabenspender nicht leicht, etwas ganz Besonderes zu besorgen, doch lassen sich Probleme dieser Art mit stattlichen Geldsummen kompensieren. Damals, als Student, fehlte es mir an Geld und auch in den Geschäften mangelte es an Artikeln, die meinen Anforderungen entsprachen. Doch der Zufall, angelockt von offenen Ohren und neugierigen Fragen, ermöglichte es mir gelegentlich, in die Nähe von spektakulären Dingen zu geraten. So verdanke ich es meinem Drang, außergewöhnliche Menschen ausfindig zu machen, daß ich an jenem Abend mit einem jungen Mann ins Gespräch kam, der mir beim Bier in einer Kneipe seinen seltsamen Beruf vorstellte. Eigentlich war es kein richtiger Beruf und es war schon gar nicht der Wunsch meines Gesprächspartners, auf diese Weise Geld zu verdienen, doch mich interessierte diese Tätigkeit. In heutigen Tagen ist es fast nicht mehr nachzuvollziehen, doch zu DDR-Zeiten stellte die Arbeitslosigkeit einen Straftatbestand dar. Wer also nicht nachweisen konnte, wovon er sein Leben bestreitet, daß er zum Beispiel regelmäßig von der Tante oder einem anderen Gönner Geld erhielt, der mußte einer Arbeit nachgehen oder eine Zelle im Gefängnis beziehen. Das Faulenzen sollte den DDR-Bürgern ausgetrieben werden und jeder Mann wurde gebraucht, um die taumelnde Wirtschaft im sozialistischen Gang zu wiegen. Unter dieser Gesetzeslage hatten besonders die totgeschwiegenen Randgruppen zu leiden, die im System so recht keinen Platz fanden. Homosexuelle Menschen, die ihre Neigungen nicht sonderlich versteckten wurden aus Arbeitskollektiven herausgeekelt und fanden sich nach einem sozialen Spießrutenlauf nicht selten im Gefängnis wieder. Nach dem Aufenthalt in einer dieser Anstalten wurden sie mit Gewalt ins Arbeitsleben zurück verfrachtet, dabei mußten die Delinquenten mit unbeliebten Tätigkeiten vorlieb nehmen.
Mein Gesprächspartner arbeitete auf einem Friedhof. Da fiel mir ein, daß mein Vater einst beiläufig den Wunsch nach einem Totenschädel geäußert hatte, der ihm bei der einsamen Arbeit am Schreibtisch zu stiller Geselligkeit verhelfen sollte. Ich sah meine Chance gekommen, bestellte noch zwei Bier und brachte diesen Wunsch vorsichtig und fast lautlos zur Sprache, denn der Ohren gab es viele. Doch auch an Augen mangelte es nicht im Revier, mußte ich in meiner Studentenstadt Weimar feststellen. Auf dem Heimweg sprach mich nämlich im O-Bus ein Studienkollege auf meinen neuen Friedhofskontaktmann hin an. Er berichtete, daß sich ihm mein neuer Bekannter unlängst auf sehr liebevolle Weise genähert hätte, ja daß es sogar zu Irritationen und Mißverständnissen gekommen sei, die ihn zur Flucht bewogen hätten. Genauer gesagt, mein Studienkollege rannte, so schnell er konnte, um noch den Oberleitungsbus zu erreichen, in welchem er dem Werben des Friedhofsmannes zu entgehen hoffte. Doch mein Verbindungsmann ins unbekannte Reich war nicht ungeschickt, er lief dem bereits beschleunigendem Bus hinterher und zog so fest an dem Seil, welches sich am Heck des in Deutschland fast ausgestorbenen umweltfreundlichen Verkehrsmittels befand, daß dem Oberleitungsbus die Energie entzogen wurde und das Gefährt zum Stillstand kam. Der Fahrer mußte seine Kabine verlassen um die Stromabnehmer erneut einzufädeln. Diese Minute nutzte der liebestrunkene Verfolger für ein emotionales, wenn gleich auch erfolgloses Gespräch mit meinem Studienkollegen. Diese Begebenheit erhöhte für mich natürlich noch das Interesse an diesem Mann, doch um Mißverständnisse auszuschließen bat ich eine Ex-Freundin, mich beim Besuch in der Wohnung des Friedhofsmannes zu begleiten.
Tatsächlich, in der Küche der Neubauwohnung, die im Stadtteil Weimar-West lag, wurde mir in einer Plastiktüte der Schädel eines Menschen präsentiert, ganz frisch, direkt aus dem Erdreich befreit, unbehandelt und ungesäubert. Wir tranken gemeinsam eine Tasse Kaffee, ich bezahlte die besprochene Schutzgebühr und schon trug ich begeistert die Beute durch die Stadt in mein Studentenwohnheim. Meine Freundin machte sich schnell aus dem Staube, ohne mir allerdings ihre Ekelgefühle vorher zu verschweigen. Endlich hatte ich einen Schädel, das ultimative Geschenk für den Geburtstag meines Vaters.
Was macht man nur mit einem Schädel? Ich konnte ihn schließlich nicht so, wie er aus der Erde gekommen ist auf den Geburtstagstisch meines Vaters deponieren. Ich mußte das gute Stück zumindest gründlich reinigen. In dem Studentenwohnheim teilten je vier Zimmer, in denen zwei oder drei Insassen lebten ein relativ geräumiges Bad mit immerhin vier Waschbecken. Eines nutzte ich für die außergewöhnliche Gehirnwäsche, die sich nicht so einfach bewerkstelligen ließ. Wer weiß schon genau, wie klein die Öffnung ist, durch die im lebendigen Zustand die Informationen des Gehirns über die Wirbelsäule an den restlichen Körper weitergegeben werden? Ein Fünfmarkstück paßt gerade hindurch. Doch wie sollte ich ein seit mindestens fünfzig Jahren totes und verwestes Gehirn durch dieses Loch ziehen? Ich versuchte es mit der Zahnbürste, denn über Zähne verfügte der Schädel des höchst wahrscheinlich sehr alt gewordenen Menschen schon lange nicht mehr. Ich putzte und bürstete, entleerte, schüttelte und füllte den teuren Knochen abwechselnd mit heißem und kaltem Wasser, entfernte das verbliebene Erdreich aus den Augenhöhlen und entdeckte einige sehr lange Haare auf der Oberseite des Schädels. An Hand dieser Haare glaubte ich das Geschlecht des ehemaligen Menschen erkannt zu haben, denn zur von mir geschätzten Lebenszeit paßten nach meiner Ansicht lange Haare nur zu Frauen. Ich hatte es also mit einer Dame zu tun. Ich entschuldigte mich sogleich für mein hartes Eingreifen, begründete es jedoch mit dem vermutlich gemeinsamen Wunsch, das alte Mädchen von der besten und saubersten Seite zeigen zu wollen. Als ich mit meiner Arbeit schon recht zufrieden war und der Damenschädel glänzend im Waschbecken leuchtete, sah ich mich zu einem weiteren Schritt der Reinigung veranlaßt. Schließlich wollte ich ein eventuelles Wuchern von Pilzen auf Vaters Schreibtisch unterbinden. In jeder Etage des Studentenwohnheims gab es eine Gemeinschaftsküche, die ich sehr selten nutzte. Doch an diesem Tag wollte auch ich an den Herd treten, um die letzten Keime am Damenhaupt abzutöten. Den geeigneten Topf borgte ich mir von einer Gruppe häuslicher Studentinnen, denen ich mein Vorhaben jedoch vorsichtshalber verschwieg. Heimlich, mit schon gefülltem Kochgefäß und aufgesetztem Deckel betrat ich die Küche. Ich zündete die große Flamme an, setzte mein Gut darauf ab und wollte den Schädel mindestens zwei Stunden im siedenden Wasser verbleiben lassen. Die Zeit vertrieb ich mir mit Gesprächen, denn die Küche war gut mit Köchen bestückt. Die neugierigen Kollegen gaben gerne ihre Rezepte an mich weiter, doch sie wollten auch eine Gegenleistung sehen. So geschah es in einem unaufmerksamen Moment meinerseits, daß ein frecher Koch den Deckel meines Geheimnisses lüftete. "Was kochst du denn da für einen Kloß?" Und schon starrten all die anderen Köche in meinen Topf. Entsetzen und Begeisterung, das waren die Reaktionen bei meinen Kollegen, die die Nachricht sensationslüstern im ganzen Wohnheim verbreiteten, so daß die Mädchen, bei denen ich den Topf geborgt hatte laut aufschrien, als ich bei ihnen im Zimmer erschien. Nun hatte ich einen keimfreien Schädel für meinen Vater, einen Topf für mich und eine Gruselgeschichte für euch. Inzwischen ist so viel Zeit vergangen, mein Vater lebt schon lange nicht mehr und ich habe den Schädel der alten Dame auf meinem Schreibtisch stehen. Nur zum Fototermin darf das Mädchen einmal auf das Klavier, gegen Bezahlung, versteht sich.

06.06.03

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