home, Inhalt,
letzter Beitrag vom 8.1.2010

Sturm

Am Mittwoch , dem 10. Juli fegte der große Sturm auch über den Jakobsturm hinweg. Die Tage zuvor war es so heiß, daß ein Aufenthalt am See, mit dem erfrischenden Naß in sicherer Reichweite als einzige Überlebensmöglichkeit erschien. So sah es auch mein großer Sohn, der mich an diesem Mittwoch besuchte. Wir trotzten den aufziehenden Wolken und suchten uns mit dem Fahrrad ein freies Stückchen Strand. Da brauste der Orkan los. Blitze erhellten den dämmernden Abendhimmel wie bei einem aufwendigen Feuerwerk. Das Wasser ergoß sich aus den Wolken über uns, begleitet vom Grollen und Tosen der Wellen des sonst so ruhigen Binnengewässers. Die Uferbäume bogen sich wie Grashalme und opferten Laub und Äste. Das erfrischende Bad war nun nicht mehr möglich und es erübrigte sich. Wir waren an Land so naß, wie wir es im See nicht hätten feuchter haben können. Skeptisch schauten wir in die zerzausten Baumkronen um eventuell auf uns herabstürzende Äste reagieren zu können. Dieser Jahrhundertsturm barg so viel Gefahren in sich und doch war es ein erhabenes Gefühl mit den Naturgewalten zu kämpfen. Ich breitete meine Arme aus und schrie aus Leibeskräften in den Wind:
"Wotan, gib auf, du besiegst uns nicht!"
Meine Stimme war kaum zu vernehmen und doch ließ der Orkan etwas nach. Mein Sohn und ich, wir schoben die Fahrräder zurück in Richtung Jakobsturm. Doch wie sah die Landstraße aus? Dieser schnelle Verbindungsweg zwischen den Dörfern hatte seine Funktion verloren. Es waren so viele Chausseebäume umgestürzt, daß wir fast alle zwanzig Meter unsere Drahtesel über das wiederspenstige Geäst heben mußten. Nun kam auch noch die Sorge um den Turm hinzu. Das neue Glasdach, wird es dem Sturm stand gehalten haben? Als wir das Dorf erreichten, waren die freiwilligen Feuerwehrleute mit ihren Motorsägen schon bei den Aufräumarbeiten.
Man stelle sich den Jubel vor, als wir das Glitzern der Scheiben auf dem Turmdach bemerkten. Der Turm war unversehrt, vielleicht auch, weil in seinem Namen schon das Wort Sturm auftaucht.
Der Morgen danach zeigte erst wirklich das wahre Ausmaß der Zerstörung. Die ganze Landschaft war mit Laub und Ästen übersäht. Die Straßen waren zwar schon von den großen umgestürzten Bäumen befreit, doch zersägte Stämme säumten überall die Fahrwege. Im Landmarkt gab es keine Brötchen, da der Bäcker nicht ohne Strom backen konnte. Alle Leitungen der Region waren ohne Saft. Vor einigen Höfen brummten Stromerzeuger. Dort fuhren Autos vor, aus denen tiefgekühltes Fleisch in die Häuser getragen wurde. Alle Tiefkühltruhen des Dorfes vereinten sich. Der Großbauer mit seinen fünf großen Kuhställen erhielt von der Energiefirma ein großes Notstromagregat um die Tiere melken zu können.
Die Storchenfamilie kommt in ihrem Nest ohne Strom aus. Diese Spezialisten des Hochbaus haben ihre Behausung in höchster Qualität errichtet. Der Sturm konnte dem Nest nichts anhaben. Der Nachbar Mensch hatte nicht so viel Glück beim Bau. Sein Scheunendach wurde vom Wind abgedeckt.

15.7.2002

Inhalt