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letzter Beitrag vom 8.1.2010

Die Nase

Jede Ortschaft hat ihr Gesicht. Sie zeigt es mit Häusern und Bäumen und mitten im Gesicht trägt sie die Nase. In weltlichen Gegenden, wie in der Hauptstadt Berlin ist es der Fernsehturm, der als Nase der Stadt emporragt. Andernorts, wo man sich noch um Religionen schert ist es der Kirchturm oder das Minarett. Ich als Turmhüter muß mich zwangsläufig auch um Nasen kümmern.
Die zweifellos berühmteste Nase kennen wir aus der Verskomödie von Edmond Rostand, welche zur Weihnachtszeit im Jahre 1897 in Paris uraufgeführt wurde. Doch dieser Cyrano de Bergerac ist nicht nur eine Erfindung des Autors, nein diesen Menschen mit der überlangen Nase hat es im 17ten Jahrhundert wirklich gegeben.

Selbstverständlich hat es die 1836 erschienene wunderbare Erzählung von Nikolaj Vasilevic Gogol auch in sich.
Am Morgen eines 25. März findet der Barbier Ivan Jakovlevic die Nase eines seiner Kunden, des Kollegienassessors Kovalev, in seinem Frühstücksbrot.
Abgeschnittene Nasen haben für mich einen so großen Reiz, daß ich mir folgende Begebenheit aus meiner Jugend bis heute im Gedächtnis erhalten habe:
Als Steinmetzlehrling spielte ich nach der Arbeit sehr gerne im etwas berufsfremden Berliner Ärzteorchester mit. Ein Höhepunkt dieser musikalischen Laientätigkeit war die Teilnahme an den Arbeiterfestspielen der DDR im Thüringischen Bad Salzungen. Es mutet schon etwas merkwürdig an, wenn man in diesem ehemaligen Land als Sohn eines Arztes zwar wegen seiner Herkunft aus der nicht herrschenden Klasse nicht zum Studium zugelassen wurde, aber dennoch als Arzt bei den Festspielen dieser herrschenden Klasse mitwirken durfte. Mir war es damals egal, denn ich war weder Arzt, noch der Sohn eines Vertreters dieses unprivilegierten Berufes, ich wollte nur in einem Orchester mitspielen.
Untergebracht wurden wir im nahegelegenen Örtchen Barchfeld, in dem es auch ein Gasthaus gab. Der Wirt dieses Lokals war die eigentliche Attraktion der Arbeiterfestspiele. Nicht nur, daß wir nach den Konzerten von ihm ein gutes Bier gegen den Durst bekamen, nein, die Nase des Mannes war der besondere Anziehungspunkt. Natürlich waren wir gut erzogen und starrten nicht ständig auf das imposante Teil und die verbale Diskussion fand schenkelklopfend erst nach dem Umtrunk in der Unterkunft statt.
Der Wirt hatte einst einen Wohnungsbrand nur knapp und ohne Nase überlebt. Seitdem trägt er eine Prothese, die nicht sehr kunstvoll an der großen Hornbrille befestigt ist. Ähnliche Gerätschaften werden heute zur Faschingszeit in speziellen Geschäften verkauft.
Auf keinen Fall kann ich in diesem Zusammenhang auf die erwähnung des Astronomen Tycho Brahe verzichten. Der 1546 in Knudstrup geborene Wissenschaftler, der auch Lehrer von Johannes Keppler war hatte seine eigene problematische Geschichte mit der Nase.
Am Abend des 29.12.1566 gab es in Rostock einen Streit mit einem anderen dänischen Gelehrten um die besseren Kenntnisse in Mathematik. Nahe des Friedhofs der Marienkirche kam es zum sagenumwobenen Duell, bei dem der gute Tycho seine Nase fast vollständig verlor. Doch Brahe ließ sich aus einer Gold-Silber-Legierung ein neues Organ anfertigen, welches er täglich mit einer speziell für ihn entwickelten Salbe ankleben mußte.

1.3.2002
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