home, Inhalt,
letzter Beitrag vom 8.1.2010

Personen und Perversionen

Es liegt in der Natur des bis jetzt überlieferten Menschen, daß er sich immer wieder durch perverse Eigenarten auszeichnet. Hier soll es um anonyme Kleinkriegperversionen besonders frustrierter Mietshausbewohner gehen. Im übrigen ist der Kleinkrieg eine zwar nervenraubende, aber recht ungefährliche Angelegenheit. Ich ziehe diese Art der Auseinandersetzung durchaus dem Großkrieg, der perversesten aller menschlichen Verhaltensweisen, vor.
Zur Sache: jeder kennt sicher den nicht zu ermittelnden perversen Haustürabschließer, der aus reiner Lustbefriedigung den Schlüssel ein Mal mehr als notwendig herumdreht und damit alle elektronischen Haustüranlagen, falls vorhanden, außer Kraft setzt. Ich meine nicht die alleinstehende ältere Dame in der dritten Etage mit ihren kleinen Ängsten und Befürchtungen, nein, in der Regel sind es Männer und meistens solche mit selbstverschuldeten Achtungs- und Liebesdefiziten, die zu solchen Taten bereit sind.
Ich will hier jedoch eine andere, weitverbreitete Berufsgruppe vorstellen, den anonymen Reifenstecher. Oh, was kann dieser Perversionenausüber nur für Ärger anrichten? Man will nur schnell noch einmal etwas erledigen, das Amt oder der Laden wird in wenigen Minuten geschlossen, doch durch einen winzigen Nadelstich ist das Vorhaben geplatzt. Das Fahrrad muß erst geflickt werden.
So erging es einem Freund, der hier Joe genannt wird. Den armen Joe, der hin und wieder seinen cholerischen Gefühlen unterliegt, trafen diese, bei ihm wöchentlich auftretenden Attacken, besonders hart. Er wurde, wie er sich ausdrückte, zum Che Guevara. Nein, so einem feigen, unsichtbaren Zeit- und Nervenräuber mußte er das Handwerk legen, koste es was es wolle.
Joe besorgte sich eine winzige Kamera, die er in unbeobachteter Stunde geschickt und für alle anderen nicht wahrnehmbar im Haus anbrachte. Den dazu gehörigen Recorder versteckte er im Sicherungskasten und schon war der Lauschangriff in vollem Gang. Joe hatte natürlich das kostbare Equipment nicht in seiner Privatsammlung vorgefunden, nein, er zahlte einiges an Leihgebühren. Der Erfolg sollte die Ausgabe rechtfertigen und tatsächlich, der anonyme Reifenstecher ging in die Falle. Wie gewohnt, blickte er sich zuerst vorsichtig um, entnahm seinem Briefkasten einen kleinen Gegenstand, ging zu einem Fahrrad, bückte sich, stach zu und verschwand mit einem erlösten Gesicht. Das war jedoch sein letzter Streich, denn die Anonymität des Täters wurde im ganzen Haus bei Fernsehabenden anhand der wunderbaren Kassette aufgehoben und so viel Mut hatte das kleine Teufelchen nun doch nicht, sich seinen Neigungen in aller Öffentlichkeit hinzugeben.
Seit dem wird bei Versammlungen der Selbsthilfegruppe für die Opfer der Fahrradperverslinge, deren dritter Vorsitzender ich bin, das Video unter großem Beifall und mit Genugtuung gezeigt.
Ich selbst bin seit geraumer Zeit auch von den Tätlichkeiten eines Fahrradperverslings betroffen, deshalb auch mein Engagement in der Selbsthilfegruppe, doch ich nehme mein liebgewonnenes Gefährt aus praktischen Gründen jetzt immer mit in die eigene Wohnung. Der letzte Anschlag, der die bisherigen Zerstörungen an Lampen und Klingeln bei weitem übertraf, verführte mich zu diesem edelen Rückzug aus der Kleinkriegbranche. Der anonyme Spezialist aus meinem Mietshaus, der sich nicht mit einer kleinen Nadel abgibt, benutzte einen Rohrschneider, um meinen Lenker säuberlich zu zerteilen (siehe Foto).
Jetzt, nach einseitiger befriedung meinerseits bleibt mir nur noch die Befürchtung, das der tatenlose Triebtäter sich beim Anblick des fahrradlosen Hauses auf neue, ganz andere Opfer stürzt.

11.1.2002
Inhalt