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letzter Beitrag vom 8.1.2010
aus meiner Privatsammlung

Jahreswechsel-Geldwechsel

Pünktlich zum Währungswechsel gibt es eine Geschichte, die mit der Deutschmark verpackt ist.
Allen Lesern einen guten Rutsch wünscht Jakob, euer Webmaster.

Das Buffett

07. Januar 1999. Es scheint sich um einen wichtigen Tag für mich zu handeln. Ich hatte gemeinsam mit meinem großen Sohn, der hier wieder einmal Frido genannt wird, ein wirklich hervorstechendes Erlebnis.
Kurz vor Weihnachten ist meine "Dresdener" Großmutter gestorben, ungefähr zwei Monate vor ihrem 92igsten Geburtstag, also in einem gesegneten Alter. Endlich von ihren Leiden erlöst, hat sie das, in den letzten Wochen menschenunwürdige Leben, beenden können. Nun steht ihr Zimmer im Altersheim in der Berliner Buschallee leer. Nur die verschiedenen persönlichen Dinge, um die der Kampf schon längst begonnen hat, sind übrig geblieben. Das schöne, alte Foto, auf dem mein Vater mit ungefähr zehn Jahren, mein Onkel dementsprechend jünger und meine Großmutter in jugendlicher Schönheit zu sehen sind, ist eins der begehrten Objekte. Wer behält das Original und wer muß sich mit der Kopie begnügen?
Da steht auch noch der alte Schrank, mit seiner unaufgelösten Geschichte.
Meine Großmutter und auch andere Familienmitglieder hatten in vergangenen Zeiten Kämpfe mit der Heimleitung ausgefochten, um diesem Schrank seinen Platz in Omas Zimmer zu erhalten. Persönliches Mobiliar war nur schwer mit der preußischen Hausordnung zu vereinbaren.
Dieses, eigentlich nicht sehr ansehnliche Ausstattungsstück mit der schmeichelhaften Bezeichnung "Buffett" hatte, so vermutete ich jedenfalls, vor vielen Jahren mein Großvater selbst gebaut. Eigentlich war es garnicht mein Großvater, sondern nur der zweite Mann meiner Oma, so, wie sie auch seine zweite Frau war. Doch ich habe diesen Menschen sehr gemocht.
In meinen Kinderjahren verbrachte ich oft die Ferien in Dresden und die Geschichten, die Opa Helmut erzählte, haben mich immer beeindruckt. Helmut war kein intellektueller Typ, kein Künstler und er hatte vielleicht auch nicht übermäßig viel Phantasie und gerade deswegen waren seine Geschichten für mich so spannend. Sie waren nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfunden. Ich erfuhr wirkliches vergangenes Leben, echt erlebte Zeit.
Ich war vielleicht zehn Jahre alt, so etwa wie mein Vater auf dem begehrten Foto, als Helmut von einem Schrank berichtete. Er sprach von ihm als seinem Meisterstück als Tischler und insgeheim flüsterte er mir etwas von versteckten Dokumenten, Zeitungen und vor allem Geldscheinen ein, welche an einem geheimen Fleck in diesem Möbel zu finden seien.
Die Jahre vergingen, die Erzählungen wandelten sich und von diesem Schrank wurde nie wieder gesprochen. Irgendwann, meine Dresdener Großeltern waren schon lange Rentner und ich studierte bereits, da erfüllte sich der Traum der alten Leute von einem Altersheimplatz auf dem Weißen Hirsch. Für die beiden orthodoxen Kommunisten bedeutete das die Krönung des Lebens in einem Sozialistischen Staat. Endlich konnten sie aufgehoben und umsorgt den wohlverdienten Lebensabend genießen.
Besonders mein Opa Helmut wurde von der Wirklichkeit überrascht. Die ersehnten glücklichen Momente wollten sich nicht so bemerkbar machen, wie er erhofft hatte. Eines Tages beschloß Helmut, dem es nach einigen Herzinfarkten gesundheitlich nicht mehr gut ging, seiner Frau etwas Einschläferndes in den Tee zu schütten. So konnte er sich unbemerkt vom hohen Berg bis hinunter in die Elbe aus dem Staube machen. Flußabwärts bei Meißen fand man ihn einen Tag später.
Mein Vater und mein Onkel organisierten darauf den Umzug meiner Oma in ein Berliner Heim, und so wanderte auch ein Schrank mit eventuell geheimnisvollem Inhalt in dieses Zimmer in der Buschallee.
Die Zeit verstrich und nun erzählte ich gelegentlich meinen Kindern am Bett von diesem im Holz verborgenen Schatz. Außer meinem Sohn Frido, der die Geschichte über Jahre im Familiengespräch wachhielt, wollte mir niemand glauben. Selbst die Großmutter hatte erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Erzählung. Es lief darauf hinaus, daß keiner dem Helmut eine derart verwegene Aktion zutrauen wollte.
Schließlich betrat ich am 07. Januar 1999 mit Frido das Altersheim. Wir wollten eigentlich den Schrank mit in mein Auto nehmen, um ihn an einem sicheren Fleck zu zerlegen. Doch das hölzerne Ungetüm war groß und unsere Geduld sehr klein. So machten wir uns an Ort und Stelle am kostbaren Möbelstück zu schaffen. Wir klopften, wie schon oft bei Besuchen der lebenden Großmutter, den Schrank an allen möglichen Stellen nach Hohlräumen ab. Es gab nur eine Möglichkeit, der Schatz mußte sich dicht unter der oberen Abdeckung befinden. Schnell bemerkten wir, daß ohne Axt und Säge nicht viel auszurichten war, denn das Holz war stabil, für die Ewigkeit verarbeitet. Helmut arbeitete eben nicht für Ikea. Zum Glück standen noch einige Krücken der Großmutter im Zimmer, sie dienten uns als unterstützendes Werkzeug. Ich durchstieß die oberste, mit feinstem Furnier verkleidete Sperrholzschicht, mit roher Gewalt. In der entstandenen Öffnung konnten wir wunderbar einen Hebel ansetzen. Doch die Aluminiumkrücken barsten schnell. Wie gut, daß es genügend von ihnen gab.
Die Untersuchung des ersten geöffneten Hohlraumes war enttäuschend. Nichts, rein garnichts verbarg sich in diesem seit unzähligen Jahren erstmals wieder frische Luft atmenden winzigen Fach. Wir stachen abermals zu, scherten uns nicht um den Krach und die herumfliegenden Holzspäne. Uns amüsierte sogar die Vorstellung, daß die Heimleiterin oder gar eine alte Freundin der Großmutter uns überraschen könnte.
Ich hebelte von unten und Frido von oben, da rief mein Sohn laut: "Da ist es, ich habe den Schatz gesehen!"
Doch es war nur einer der ihm typischen Späße, denn auch die zweite Öffnung war einfach nur leer. Mein Glaube an Helmut geriet langsam ins Wanken, zumal ich mir nicht sicher sein konnte, daß gerade dieser Schrank Helmuts Meisterstück ist. Nur weil das Buffett bis zuletzt als einziges privates Möbelstück im Zimmer der Großmutter übrigblieb, das schien nichts zu beweisen. Doch was hätte uns vom Weitersuchen abhalten können? Das Gefecht mit den Krücken wurde verbissen fortgesetzt.
Und tatsächlich, der rittlings auf dem Schrank sitzende Fridolin setzte dieses mal wirklich zur Siegesfanfare an: "Heureka.......!!!"
Sorgsam wie richtige Archäologen fegten wir mit Omas alter Kleiderbürste die Späne beiseite und konnten uraltes Zeitungspapier entdecken. Jetzt beruhigte sich unser energisches Vorgehen, um Errungenes nicht gleich wieder zu zerstören. In langwieriger Kleinarbeit entfernten wir behutsam die gesamte Abdeckplatte und standen glücklich vor dem gefundenen Schatz.
Helmut hatte uns nicht betrogen. Wir nahmen uns Zeit, drehten Zigaretten und untersuchten den Inhalt der geheimnisvollen Papiere.
Zehn Tageszeitungen aus dem Jahr 1936 aus unterschiedlichen Deutschen Städten.
Vier Illustrierte, besonders sportbezogene Zeitschriften mit Berichten über die Olympiade.
Sechs sehr nationalsozialistisch gestaltete Plaketten, Bescheinigungen für freiwillige Spenden zur Winterhilfe.
Zwei Sachspendenquittungen für das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes 1935/36.
Sechs Stempelkarten des Arbeitsamtes.
Ein abgelaufener Deutscher Reisepaß von Helmut Schneider.
Ein Stammabschnitt mit sechs Reichsverbilligungsscheinen für Speisefette.
Sieben Banknoten von Zwanzig Mark bis 100000 Mark.
Ein vierseitiger handschriftlicher Brief von Helmut, der sich sehr kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, und der folgendermaßen endet:
"Ich nehme bestimmt an, daß der Finder dieser Zeilen in einem Sozialistischen Staate leben wird und daß dann bessere Zeiten die Menschheit beglücken, als wie es gegenwärtig der Fall ist. Dresden, am 17. Oktober 1936."

Fundsache

Abschrift von Helmuts Brief:

Urkunde!
Zur Erbauung eines kombinierten Schrankes.
Geschrieben von Johannes, Helmut Schneider, Tischler, geb. am 17.10.1906 in Seidau b. Bautzen i/Sachsen. Dieses Schreiben soll einer späteren Generation bei Auffinden Zeugnis ablegen über die Zeit, in der der Schreiber dieser Zeilen lebt. Ich bitte den Entdecker dieses Schriftstückes dasselbe, wenn irgend möglich, meinen Nachkommen zu übermitteln. Ich lege deshalb über die Personalien meiner Person einen abgelaufenen Reisepass bei. Zur Ergänzung hierüber teile ich mit, daß ich am 15.12.1928 geheiratet habe. Meine Frau heißt Anna, Hildegard, geb. Mach, geb. am 29.7.1907 in Dresden. Am 3.12.1931 gebar meine Frau einen Sohn, der den Namen Helmut, Kurt Schneider trägt. Ich persönlich bin im Mai 1925 aus der evangelisch-luth. Kirche ausgetreten, weil ich die Auslegung des Christentums von den Vertretern dieser Religionsgemeinschaft als Irrlehre betrachte. Seit dieser Zeit bin ich konfesionslos. Da jedoch in der jetztigen Zeit, in der der Nationalsozialismus das 4.Jahr am Ruder ist, den Menschen - und vor allem den Kindern in der Schul- und Lehrzeit Schwierigkeiten bereitet werden, wenn sie nicht getauft sind, will ich in den sauren Apfel beißen und meinen Jungen taufen lassen, bevor er im Sommer 1937 bei der Schule angemeldet wird. Ich tue dies in der Überzeugung, meinem Sohn damit am besten gedient zu haben. Ich bin am heutigen Tage gerade 30 Jahre alt. Wenn ich nun Rückschau halte und in kurzen Worten die heutige Zeit schildere, so bin ich mir im klaren darüber, daß die Gegenwart die Periode eines ganz großen Umbruches bedeutet. Wir leben in einer außergewöhnlichen schwierigen Zeit. Die kapitalistische Wirtschaftsweise kämpft einen Verzweiflungskampf. Ereignisse von besonders großer Bedeutung rollen in der Gegenwart ab, und machen das Leben interessant und abwechlungsreich. Schöner wäre es jedoch, wir hätten diese Zeit hinter uns und könnten ein besseres und angenehmeres Leben führen. Ich glaube auf das Bestimmteste, daß früher oder später die sozialistische Wirtschaft siegt, und allen Menschen den gerechten Lohn an der Arbeit gewährt. In der Jetztzeit herrscht ein ganz großes Ausbeuter-System. Ich persönlich war bis zum nationalsozialistischem Umsturz im März 1933 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, des Deutschen Holzarbeiter-Verbandes und des Arbeiter Turn- und Sportbundes. Alle Arbeiterorganisationen wurden verboten und aufgelöst und das Vermögen beschlagnahmt. Die Mitglieder (vor allem die Aktiven) waren der Verfolgung ausgesetzt und erlitten in sehr vielen Fällen Schaden an Leib und Leben und in materieller Hinsicht. So ging es auch mir. Beim Turn- und Sportverein Omsewitz, Mitglied im Arbeiter Turn- und Sportbund, büste ich von einem gegebenen Darlehn von 500,-RM 200,-RM vom Kapital und für drei Jahre Zinsen in Höhe von 75,-RM ein. Die Summe, die mir als Arbeiter auf diese Weise gestohlen wurde, kommt rund gerechnet 10 Wochenlöhnen gleich. In der heutigen Zeit, in der die Lebenshaltungskosten von Tag zu Tag steigen, kann man sich nichts mehr ansparen. In den Jahren 1928-1930 war es bedeutend besser. Aus dieser Zeit stammen auch meine Ersparnisse. Haussuchungen wurden bei mir vorgenommen und auch eine Vernehmung auf dem Polizei-Präsidium schließt mein Leben in sich. Mehrere Zeugen der durchlebten, bewegten Zeit lege ich bei. Die netten Geldscheine sind ein Andenken aus der Inflation. Im Oktober 1923 wurde die Währung stabilisiert. 1000000000000 (Eine Billion) = 1,- Rentenmark. Der größte beiliegende Geldschein 100000,- Mark hatte demnach am Schluß der Entwertung einen Wert von 1/100000 Pfennig. Bei Erhalt des Lohnes liefen wir in den Laden und kauften, was wir erhielten. Viel war es nicht. Manchmal nur 1 Brot für einen Wochenlohn. Das Geld hatte innerhalb von 24 Stunden oftmals nicht mehr den halben Wert. Alles kaufte deshalb, was es gerade gab. Vor dieser katastrophalen Zeit erschütterte der Weltkrieg das ganze Leben. Auch aus meinem engeren Familienkreise blieben bei diesem größten Morden in der Weltgeschichte für die Interessen des Kapitals mehrere Verwandte auf dem "Felde der Ehre", wie es in der Kultursprache heißt. Mein Vater hat als Erbe des Krieges total zerrüttete Nerven. Während des Weltkrieges gab es Lebensmittel Kleidung, Kohlen und dergleichen nur auf Marken. Die zugewiesene Menge war zu knapp und zu minderwertig, um die Menschen auf einem gesunden Lebensstandard zu halten. Unterernährung war die Folge. Außerdem mußte man stundenlang anstehen, um überhaupt etwas zu erhalten. Dann kam die Arbeitslosigkeit. Eine Reihe Kontrollkarten (Im Volksmunde "Stempelkarten" genannt) bezeugt meine Erwerbslosigkeit. Ich selbst war bisher ca. 4 Jahre Arbeitslos. 7000000 Arbeitslose gab es in Deutschland. Nach 1933 (der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus) gab es durch den Aufschwung in der Rüstungs-Industrie und durch den Bau der Reichs-Auto-Bahnen mehr Arbeit. Der Verdienst ist schlecht, weil die Arbeiter-Organisationen zerschlagen sind. Ich bekomme trotz regelmäßiger 48 Std Arbeit in der Woche Fettverbilligungsscheine (ein Kopf hiervon liegt bei). Die Winterhilfe ist eine freiwillige Spende. So heißt es nach außen. Es wird jedoch regelmäßig gleich vom Lohn ohne zu fragen das abgezogen, was die Herren für richtig befinden. Wer sich dagegen aufbäumt, wird entlassen. 6 solcher Plaketten, die es als Bescheinigung für die abgezogene "freiwillige Spende" gab, liegen bei. Arbeiterfrontbeiträge werden genauso abgezogen wie Steuern. Durch die Autarkie-Politik der jetztigen Regierung Adolf Hitlers ist der Außenhandel gänzlich zum Stillstand gekommen. Wegen großem Devisen-Mangel herrscht Devisen-Zwangswirtschaft. Die Einfuhr ist kontingentiert. Da ich in der Dresdener Niederlassung der Continental-Gummi Werke arbeite, die auf Kautschuk Einfuhr angewiesen ist, und sich jetzt ein außerordentlicher Mangel an Gummi bemerkbar macht, werde ich sicherlich mit mehreren anderen Kollegen in Kürze entlassen werden. Ich kann deshalb den jetzigen Zustand in keiner Hinsicht gutheißen. Mit mir sind bald alle Arbeiter einer Meinung, trotzdem in den Zeitungen steht, daß alles gut geht und alle zufrieden leben. Die Arbeiter-Zeitungen sind verboten. In den Arbeiter-Gebäuden hausen jetzt die Nationalsozialisten und geben eigene Zeitungen heraus. Was in der Zeitung steht ist alles zensiert. Ich lege mehrere bei und betone, daß ich den Inhalt in sehr vieler Hinsicht nicht glaube. Da wir gerade das Jahr 1936 schreiben, wo vor einigen Monaten in Berlin die XI. Olympiade stattfand, lege ich auch hiervon Zeitungen und Illustrationen bei. Als außerordentlich wichtig von geschichtlicher Bedeutung der Gegenwart ist der Bürgerkrieg in Spanien, wo sich die Arbeiterklasse bereits schon seit Monaten mit der Waffe in der Hand wehrt, dem Faschismus das Land zu überlassen. Hoffentlich glückt den Arbeitern die Abwehr, damit sie nicht durch eine eben solche Hölle zu gehen brauchen, als wie es die deutsche Arbeiterklasse zu tun hat. Die Pressenachrichten, die wir in Deutschland vorgesetzt erhalten, lauten nur zu Gunsten der spanischen Rechtskreise. Ich nehme bestimmt an, daß der Finder dieser Zeilen in einem Sozialistischen Staate leben wird und daß dann bessere Zeiten die Menschheit beglücken, als wie es gegenwärtig der Fall ist. Nochmals bitte ich um Übergabe der Dokumente an meine Nachkommen. Herzliche Grüße dem Finder. Helmut Schneider, Dresden-Obergorbitz. Schreberstr.42

Dresden, am 17. Oktober 1936.

Das war Helmuts mutiger Brief. Wenn er den Nazis in die Hände gefallen wäre, so hätte ich meinen lieben Großvater sicher nicht kennengelernt.

29.12.2001