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letzter Beitrag vom 8.1.2010
der lange Schokoladenmann

zu Weihnachten

Als in der DDR noch nicht auf die D-Mark gehofft wurde, da ging meine Tochter, die ich hier einfach Jette nennen will, noch in den Kindergarten. In der Vorweihnachtszeit bemühten sich die Erzieherinnen Frau Goldhorn, Frau Mittelstett und die gute Frau Seibert unter den Kindsvätern um einen Weihnachtsmanndarsteller für die Weihnachtsfeier. Die drei Damen setzten all ihre Überredungskünste ein, um jemanden für diesen ungeliebten Job zu gewinnen. Wie auch immer, ich war derjenige, der sich breitschlagen ließ.
Zum gewünschten Termin erschien ich mit Bart, Mantel und Mütze in der Kindertagesstätte. Doch ehe ich auf die Kinder losgelassen wurde, erhielt ich von einer Erzieherin Instruktionen, Richtlinien und Veranstaltungsabläufe in schriftlicher Form. Ich sollte als pädagogisches Mittel und psychologischer Kriegsführer im Kampf gegen die Kinder eingesetzt werden.
Auf einem Zettel standen die Namen aller Kinder in einer ganz bestimmten Reihenfolge: zu oberst die lieben und guten und zu unterst die bösen, wilden und frechen, die damals als undiszipliniert betitelt wurden. Ich hatte nun als Weihnachtsmann die Aufgabe, genau nach dieser Liste vorzugehen und sogar noch die in Klammern stehenden Helden- und Untaten bei meinen Einzelgesprächen mit den Kindern mit entsprechender positiver oder negativer Betonung zu erwähnen. Der schlimmste Junge sollte demnach als letzter von mir beschimpft werden, wohingegen das fleißigste Mädchen als erste von mir gelobt werden durfte.
Zum Glück ist so ein Weihnachtsmann schon alt und von der Reise müde, so daß ihm Verwechselungen und Ungeschicklichkeiten nicht übel genommen werden können. In dieser Hinsicht spielte ich meine Rolle gut. Ich brachte vor den Kindern die ganze Liste durcheinander. Selbst heftige Ermahnungen durch die Erzieherinnen konnten die ursprüngliche Reihenfolge nicht wieder herstellen. Ich ließ die lieben und die bösen Kleinen Gedichte sprechen und Lieder singen. Wer nicht weiter wußte, dem gab ich ein Stichwort oder ich sang einfach mit. Dann gab es für Jedes noch einen Griff in den Sack und mir machte der Job Vergnügen.
Für die vorlaute Erzieherinn hatte ich noch ein besonderes Geschenk, welches sie sich aber erst hart verdienen mußte. Zur Strafe ließ ich auch Sie, und sogar als Letzte, ein Lied vorsingen.
Ich war jedoch erschüttert, daß die gute Dame den Weihnachtsmann mit nur einer Strophe abspeisen wollte und gab nicht nach. Nach der dritten Strophe erlöste ich dann die errötete Frau mit dem versöhnenden Päckchen.
Ich möchte jetzt behaupten, daß dieser eigenwillige Weihnachtsmann den Untergang der DDR eingeleitet hat, obwohl ihn Jette in diskreter Weise an Hand der Armbanduhr als Vater entlarfte.

Gelegentlich schrieb ich die kleinen "Schlafkindchen Mariechen" Geschichten, die ich Jette abends am Bett erzählte am nächsten Morgen auf. Eine soll hier zu lesen sein.

Weihnachtsmann als Tute

Elsa und Susi

Das Bett von Schlafkindchen Mariechen steht in ihrem kleinen Zimmer, in der Ecke gleich neben dem Fenster. Dort liegt Mariechen jeden Abend und natürlich auch die ganze Nacht und schläft. Doch Heute sind die kleinen Augen noch einen winzigen, müden Spalt geöffnet. Sie kann einfach nicht einschlafen.
Mutti und Vati sind ins Kino gegangen und Schlafkindchen Mariechen muß ganz alleine Zuhause bleiben. Da hat es ganz schön viel Angst. Was heißt hier ganz schön, ganz schlimm viel Angst hat Mariechen natürlich.
Die Mutti hat zwar gesagt, daß es keine Gespenster gibt und Vati meinte sogar, sie seien ausgestorben. Doch Schlafkindchen Mariechen denkt sich, wenn sie ausgestorben sind, muß es ja irgendwann einmal welche gegeben haben. Wenn es jedoch so ist, kann es auch gut möglich sein, daß Eins es vergessen hat zu sterben und immer noch herumgeistert.
Als sich Schlafkindchen Mariechen gerade solche Gedanken macht, da raschelt es doch plötzlich in der Ecke, dort wo die Puppenstube steht. Mariechen wird ganz bleich im Gesicht, vor Angst versteht sich. Sie zieht sich die Decke über den Kopf und macht die Augen zu, so richtig fest zu.
Das Rascheln rückt immer näher und näher bis an Mariechens Bett heran und auf einmal spricht eine tiefe, dunkle, rauhe, schwarze Stimmezu ihr:
"Schlafkindchen Mariechen, laß mich unter deine Decke kriechen."
Mariechen fängt nun auch noch vor Angst zu schwitzen an. Am liebsten würde sie ja dicke Tränen weinen. Doch das geht leider nicht, da sie die Augen zu fest geschlossen hält. Zum zweiten mal ertönt nun schon die Stimme:
"Schlafkindchen Mariechen, laß mich unter deine Decke kriechen."
Da nimmt Mariechen allen Mut zusammen, selbst den aus ihrem kleinen Zehen und ruft laut:
"Nein, nein, hier ist kein Platz, es würde mir zu eng werden."
"Aber Mariechen, "antwortet die Stimme sanft, "zu zweit wird es doch gerade schön gemütlich."
Zum Glück fällt Mariechen in diesem Moment etwas sehr schlaues ein.
"Nein, nein," ruft sie wieder, "Wir sind hier schon zu dritt und das reicht uns an Gemütlichkeit aus. Meine beiden Freundinnen Elsa und Susi, die fünfnäsigen Schlangen sind nämlich gerade zu Besuch unter meiner Decke."
"So, so," staunt die Stimme, "wo drei sind hat ein vierter doch auch noch Platz. Ich möchte zumindest die beiden Schlangenmädchen begrüßen und beschnuppern."
Mariechen ist jetzt so richtig mutig geworden. Sie läßt ihre beiden Füßchen etwas unter der Decke hervorgucken und bewegt die Zehen. Gerne hätte sie auch den Kopf etwas herausgestreckt und das Gespenst gesehen, doch daß erscheint ihr zu gefährlich.
"Tatsächlich," spricht die Stimme, "fünf Nasen habt ihr. Es ist schon sehr erstaunlich, solche Schlangen habe ich noch nie gesehen. Ihr werdet doch nicht giftig sein?"
Plötzlich stutzt die Stimme:
"Es duftet aber hier, nein es riecht. Pfui, es stinkt sogar teuflisch. Daß muß euer Mundgeruch sein. Man kann noch genau riechen, was ihr beiden Schlangen zum Abendbrot gegessen habt, nämlich Käse von übelster Sorte."
Jetzt wird die Stimme richtig ärgerlich:
"Schämt euch, da habt ihr schon fünf Nasen, die diesen Gestank riechen müssen und trotzdem putzt ihr euch nicht die Zähne. Mariechen, bitte nimm es mir nicht übel," entschuldigt sich die Stimme, "aber ich halte diesen Geruch nicht aus. Ich werde mir einen anderen Schlafplatz suchen müssen."
"Das macht gar nichts." antwortet Mariechen, "Ich wünsche dir viel Spaß beim suchen."
"Danke, liebes Mariechen. Ich wünsche dir noch eine schöne Nacht und schmeiße die beiden Dreckfinken bald raus."
So verabschiedet sich die Stimme. Das Rascheln wird schnell leiser, bis es in der Puppenstubenecke verschwindet. Das ist gerade noch mal gut gegangen denkt Schlafkindchen Mariechen. Einen Moment wartet sie noch, dann schiebt sie ihren Kopf unter der Decke hervor und öffnet ganz vorsichtig die Augen. Es ist wirklich kein Gespenst zu sehen.
Mariechen ist jetzt sehr stolz auf ihren Mut und vor lauter Freude darüber fängt sie zu schlafen an.
Denkt daran: Solltest du dir die Füße waschen, könnte dich ein Gespenst vernaschen.

19.12.2001 Frohe Weihnachten
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der kleine Süße