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letzter Beitrag vom 8.1.2010

nützliche und unnütze Türme

In erster Linie und von Natur aus sind Türme unnütz. Erst werden Mühen und Kosten vergeudet um einen Turm zu bauen und dann muß auch noch Kraft und Geschicklichkeit aufgewendet werden um diesen Turm zu besteigen. Selbst bei eingebauten energieverschlingenden Fahrstühlen muß zusätzlich kostbare Zeit für das Erreichen der höheren Region geopfert werden. Nein, so richtigen Sinn machen Türme nicht. Einige werden sagen, wir haben keinen Platz und können uns nicht zur Seite ausbreiten, wir müssen sehen, daß wir nach Oben gelangen. Andere verweisen auf die Gemütlichkeit, die sich einstellt, wenn ganz viele Menschen auf einem Haufen leben und das ginge eben nur in Hochhäusern oder Türmen. Dann gibt es noch Menschen, die nicht unbedingt aussprechen, was sie von der Geschichte gelernt haben: "Was ist übrig geblieben von den vergangenen Kulturen der Menschheit? Es sind die hohen Gebäude, Türme und Pyramiden. Laßt uns ein Zeichen setzen und ein riesiges Haus bauen, so werden wir ewig leben, bis in den Tod."
Bei meinem letzten Besuch in der Heldenstadt Leipzig fiel mir das Zeugnis einer dieser vergangenen und untergegangenen Zeiten auf. Jetzt steht zwar "MDR", was so viel heißt wie mitteldeutscher Rundfunk, darauf, doch eigentlich sollte das turmartige Gebäude ursprünglich als Karl Marx Universität weithin und ewig sichtbar, vom ruhmreichen DDR-Sozialismus berichten. Doch Leipzig ist wie schon gesagt eine Heldenstadt, deren Einwohner, die Helden, 1989 mit ihren Montagsdemonstrationen die Ab- und Auflösung der DDR-Regierung in die Wege leiteten. Jetzt kämpft das geeinte Deutschland mit den Wirren des Marktes und des Lebens und der Beiname Heldenstädter ist für die Leipziger in Vergessenheit geraten. Vielleicht sollte man als Erinnerungshilfe die drei Buchstaben auf dem ehemaligen Uniturm in "SdH", Stadt der Helden umtauschen, was mir persönlich angenehmer erscheinen würde, da der Beiname "Mitteldeutsch" für die im Osten Deutschlands gelegene Rundfunkanstalt, den Anspruch auf alte "Ostgebiete" latent beinhaltet.
Um von diesen Gedanken, die mir als Turmbesitzer Türme immer nutzloser erscheinen ließen, loszukommen bestieg ich eine Leipziger Straßenbahn, deren Ausstattung mich sofort beeindruckte. Das Wunderkästchen mit der Aufschrift "Fahrgastwunsch" zog mich magisch an. Ich betastete es eine Weile, bis ich meinen Wunsch leise in das Kästchen flüsterte: "Ich möchte einen nützlichen Turm sehen." Um diesen Wunsch auch zu aktivieren drückte ich sanft auf das Knöpfchen. Plötzlich erschien in leichtem Flackerlicht der Lösungstext: "Haltewunsch".
Das konnte nur bedeuten, daß ich an der nächsten Station aussteigen müßte, um einen nützlichen Turm zu sehen.
Zauberkasten
1898-1913 errichtet,91m hoch Doch was sich dort vor mir auftürmte, überstieg meine Erwartungen. Ich sah ein Monstrum, welches gleichzeitig an eine überdimensionale Pickelhaube und an ein gefräßiges, zähnefletschendes Ungeheuer erinnerte. So richtig wagte ich mich nicht heran, an das Völkerschlachtdenkmal. Der für mich nicht nachvollziehbare Sinn dieses Turmes soll darin bestehen, der Schlacht im Jahre 1813, bei der das Heer von Napoleon geschlagen wurde, zu gedenken.
Zum Glück liegt unweit von diesem Ergebnis einer Granit- und Porphyr-Materialschlacht das Gelände eines Wasserwerkes, auf dem sich natürlich ein stattlicher Wasserturm befindet. Keiner braucht heutzutage noch einen Wasserturm, diese Arbeit erledigen jetzt leistungsstarke Pumpen, aber diese Türme blicken wenigstens auf nützliche Jahre zurück.

30.11.2001
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