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letzter Beitrag vom 8.1.2010
Indean Sweets Im Brunnenhaus, dem Nebengebäude zum Jakobsturm, gibt es jetzt eine Toilette, ein richtiges WC. Das bisherige Campingklo hat endlich ausgedient. Matthias S., der erst kürzlich eine Woche im Jakobsturm verbrachte, konnte die neue Errungenschaft ausgiebig genießen und steuert den folgenden Indien-Erinnerungstext in dankenswerter Weise bei.

21.6.2001

Pay and Use

Ich weiß nicht, ob es mein Magen, mein Darm oder nur Einbildung ist. Aber es rumort und zwingt mich unabänderlich, erneut die Bahnhofstoilette aufzusuchen. Das Toilettenmännchen am Portal schenkt meiner Rupie nur einen grimmigen Blick, als hätte ich für die Erfahrung, die da kommen mag, noch nicht genug bezahlt.
Vier braune Holztüren. Gebettet in die Tristes grüner Fliesen. Eine Reihe roter Zahlen, die einen alltäglichen Akt sortieren sollen. Früh am Morgen, die Atmosphäre von aufgeregtem bis still in sich gekehrtem Warten. Männer vor jeder Tür und keiner gibt sich die Blöße. Keiner zeigt, wie nötig oder unnötig er sich eine Kabine in Abgeschiedenheit oder den Platz seines Vordermannes wünscht.
Nein, Squatting ist ein intimes Gemeinschaftserlebnis. Geduld hingegen etwas, das sich kaum mit Dringlichkeit verbinden lässt.
Tür 3 springt aus dem Rahmen. Einer kommt heraus und ein anderer geht hinein. Er ist alt, ganz in weißen Stoff gewickelt mit Gandhi-Cap. Routiniert nimmt er den aufgeschnittenen Tank von seinem Vorgänger, trägt ihn zum tropfenden Wasserbecken und schleppt ihn zurück. Für ein paar Sekunden steht die Tür weit offen. Für einen Moment, da er sich über das Becken beugt, den Tank füllt, gäbe es die Chance, der eigenen Dringlichkeit Nachdruck zu verleihen. Zu spät.
Jemand macht mich darauf aufmerksam, dass ich an Tür 4 klopfen solle. Diese sei wirklich schon zu lange verschlossen. Die Ruhe dahinter lasse auf ein zu genussvolles Geschäft schließen. Er ignoriert mein Ablehnen und nimmt sich meiner an.
- Nahi, sage ich und zerre seinen Arm von meiner Tür.
Soll der dahinter Verstummte seine Zeit genießen. Sie ist begrenzt. Außerdem möchte ich verhindern, dass ich selbst Opfer der allgemein gestiegenen Unruhe werde.
Es sind tatsächlich meine Eingeweide. Keine Einbildung, das wird mir schlagartig bewusst. Ich spiele Gelassenheit, bin allerdings ein elendiger Schauspieler. Scharre mit meinem Fuß auf den Fliesen, die von den Schritten der morgendlich Ungeduldigen schmutzig blank poliert sind, und muss aufpassen, dass ich nicht ausrutsche. Nicht einmal der Sonne verraten sie, dass es etwas wie Zeit überhaupt gibt. Nicht an diesem Ort.
Explosionsartig artikuliert sich der Mann hinter meiner Tür. Der ungeduldige Schnurrbart in der Nachbarschlange klopft an Tür 3. Tatsächlich rührt sich wer. Wasser plätschert. Der Tank landet auf den Fliesen. Ein Rütteln. Die Tür klemmt. Kurze Warnung. Der ungeduldige Schnurrbart tritt gegen die Tür. Gewalt aus der Dringlichkeit geboren und mit Hilfsbereitschaft getarnt. Gandhi-Cap kommt heraus und Schnurrbart geht hinein. Die gleiche Prozedur, der gleiche Gedanke und ein weiteres Mal zu lange gezögert. Ein weiteres Mal zu spät.
Plätschern hinter Tür 4. Ein erleichtertes Gesicht kommt heraus. Mit dem Tank, einem aufgeschnittenen Benzinkanister, laufe ich die paar Meter zum Wasserbecken. Fühle mich beobachtet. Bemerke, wie der ganze Raum, die Fliesen, das Wasserbecken und die Männer mich jetzt erst verstehen. Verstehen, dass auch ich das Bedürfnis nach Erleichterung habe, auch ich Kanal und kurze Begleitung, nur vorübergehender Behälter für Dosa und Chapati bin.
Mir ist unwohl. Der Tank schwer. Mein Inneres kurz vor der Explosion. Außerdem steht die Tür weit auf und die lange Schlange sprungbereit davor - zu spät, für die Wartenden.
Ich schlage die Tür zu und schaffe es gerade noch rechtzeitig, jeden Restgedanken an Einbildung in das Loch zu entleeren. Das Becken ist in sich gebrochen, das Porzellan aufgesplittert, das Fundament der Toilette geplatzt. Und ich bin erleichtert. Bleibt nur noch die Angst, ob im Tank genug Wasser ist und ob damit alle Spuren aus dem gebrochenen Becken verschwinden. Fertig.
Ich komme heraus und ein beinahe glückliches Gesicht geht hinein. Langsam schiebe ich mich an den unruhigen Männern vorbei und verstehe.

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