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letzter Beitrag vom 8.1.2010
Wir bringen Babys und Türme

Das erste Mal

Von meinem Notar erfuhr ich, daß der Kaufvertrag nun endlich von allen Seiten unterschrieben und rechtswirksam war. Es sollte also doch Wirklichkeit sein. Der kleine Turm gehörte jetzt mir.
Nichts und niemand konnte mich vom Aufbruch abhalten. Ich packte eine Matratze, mehrere Decken, Planen, Folien, Eimer, eine Schippe und vor allem Kerzen in meinen Einhundertdreiundzwanziger und nagelte los, über sparsam verschneite Brandenburger Alleen.
Es war eine wundervolle Fahrt. Das Herz tanzte wie toll in meinem Körper.
Endlich sah ich ihn vor mir, stolz und wohlgeformt, meinen kleinen Wasserturm.
Ich war schließlich schon einige Male hier gewesen. Weswegen also diese Aufregung? Doch jetzt kam ich nicht als heimlicher Besucher, ich war der Besitzer. Wie spießig und bürgerlich das auch klingen mag, es war ein wunderbares Gefühl.
Ich öffnete das verrostete Vorhängeschloß aus DDR-Zeiten mit ein wenig Gewalt und trat ein in das runde Gemäuer. Da sprang sie mir auch schon entgegen, die Arbeit und Mühe, die bis zu meinem Lebensende ausreichen müßte.
Das Erdgeschoß war zugestellt mit schweren, für eine Person unmöglich zu bewegenden Rundhölzern. Diese halbierten Telegrafenmasten hatte der Vorbesitzer hier gelagert. Er konnte ja nicht ahnen, daß an dieser Stelle einmnal ein Mensch sein Nachtlager aufschlagen wöllte. In der ersten Etage sah es nicht besser aus. Der Schutt einer Mauer, die einst eine Kammer abtrennte, lag hoch aufgetürmt. Weiter oben wurde es nicht gemütlicher, nur die Windstärken, die durch die scheibenlosen Fenster bliesen, erhöhten sich enorm.
Kurzerhand beschloß ich, die erste Etage für meine erste Nacht zu einem Teil vom Schutt zu befreien. Ich mußte mich beeilen, um das Tageslicht richtig auszunutzen. Eimer um Eimer schaufelte ich voll und schleppte sie zu dem rasch anwachsenden Schutthaufen, den ich mitten auf dem Hof angelegt hatte. Und was das für einen Spaß machte! Mir war wohlig warm im Herzen und am ganzen Körper. Erst bei einer Zigarettenpause, in der ich die Dämmerung bedrohlich hereinzubrechen bemerkte, ließ mich der kalte Wind erschauern. Denn auch in der ersten Etage hatten die Eisenfenster kein Glas in ihren Fächern. Es war höchste Zeit, die mitgebrachten Planen irgendwie gegen den Wind zu befestigen. Ich mußte eine Technologie entwickeln, doch es fehlte am richtigen Gerät. Als es fast dunkel war, hatte ich mit Brettern und Leisten Gestelle zusammengeheftet, die die Planen notdürftig gegen die Fensteröffnungen drückten. Jetzt konnte ich im romantischen Kerzenschein meine Matratze auslegen. Ich hatte gerade soviel Platz geschaffen, daß er für meine Bettstelle ausreichte.
Doch es war noch sehr früh, noch nicht einmal 18.00 Uhr. Das war keine Uhrzeit, um unter die Decke zu kriechen, jedenfalls nicht für einen Stadtmenschen.
Ich entschied mich, noch einmal das Haus zu verlassen. Nur einige Minuten von meinem Turm entfernt, also in unmittelbarer Nachbarschaft, hatte ein Dorfbewohner in einer Baracke ein kleines Wirtshaus eingerichtet. Dort zog es mich hin.
Oh, wie schön warm doch die Kneipe war. Ich fand die Einrichtung und die Kundschaft zwar nicht besonders freundlich, doch die Temperatur hatte etwas Wohliges.
Von den drei Gästen am Stammtisch entpuppte sich einer als Wirt. Mit skeptischem Blick erhob er sich und steuerte auf mich zu. Als ich einen heißen Tee bestellte, gerieten die drei Männer so sehr in Erstaunen, daß ich meinte, sie etwas aufmuntern zu müssen.
"Ja, Herr Nachbar, ich möchte einen Tee"
Mit diesem Ausspruch stieß ich vollends auf Unverständnis, wie ich an den plötzlich heftigen Bewegungen der Drei entdecken konnte.
"Was haben sie gesagt? Herr Nachbar??"
Als ich meinen ersten Aufklärungsversuch startete, trat etwas Unerwartetes ein. Die Herren baten mich an ihren Tisch und wollten alles genau wissen, von Anfang an bis spät in die Nacht.

Als es zum Aufbruch kam, stellte sich für die drei Männer die Frage nach meinem nächtlichen Verbleib. Ich sprach in sich schüttelnde Gesichter, ehe ich in der Dunkelheit verschwand.
Und es war verdammt dunkel. Ehe ich den Weg fand, streifte ich so manchen Zaun. Doch zum Glück hob sich mein Turm ein wenig aus dem Schwarz der Nacht heraus, so daß ich die schützende Behausung sicher erreichte.
Doch was für ein Schreck durchfuhr mich. Mein Zippo, das mich sonst so zuverlässig begleitende Feuerzeug, wollte keine Flamme spenden. Offensichtlich war das Benzin zur Neige gegangen. Jetzt kam es auf meinen Tastsinn an. Den richtigen Schlüssel, um die Tür zu öffnen, fand ich recht schnell. Doch womit sollte ich mir eine Kerze anzünden? Ich brauchte doch ein klein wenig Licht.
So tastete ich weiter, durch die Innenräume des Gemäuers, bis ich meine Tasche zu fassen bekam. Dort hatte ich immer ein Fläschchen Treibstoff für mein Zippo. Nur im Tanken bei völliger Dunkelheit war ich sehr ungeübt.
Es klappt ja dann doch immer und so brachte ich auch eine Kerze zum Scheinen. Oh, was war das für ein schauerhaft romantischer Anblick: Die unverputzten roten Klinkersteine, die riesigen Gußrohre, die ihre Schatten warfen, die im Winde flatternden Planen, die bis jetzt noch ganz gut hielten, die Schutt- und Geröllmassen und irgendwo dazwischen meine Bettstelle.
Ich zog noch einen Pullover extra über meinen Körper und versteckte mich unter mehreren mitgebrachten Decken. So aus der Horizontale, oder besser der Froschperspektive, hatte ich nocheinmal eine wunderbare Aussicht auf mein zukünftiges Betätigungsfeld. Ich schaute, träumte und rauchte noch eine Gutenachtzigarette ehe ich die Kerze ausblies.

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