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letzter Beitrag vom 8.1.2010
in mir haben 50000 Platz

Das Wasserreservoir

Es ist schon erstaunlich, was da so über mir schwebt. Zum Glück ist der riesige Behälter nicht, wie in seinen längst vergessenen Arbeitstagen, gefüllt. Die fünfzigtausend Liter Wasser, die dort Platz hätten, würden mich schon beunruhigen. Aber, es ist ein kleiner Wasserturm, mit einem kleinen Wasserreservoir. Was sind schon fünfzigtausend Liter? Die erst kürzlich an der brasilianischen Küste versunkene Bohrinsel verbarg über eine Million Liter Diesel in ihren Tanks. Über dreizehn Millionen Liter Öl förderte das Ungetüm täglich und ich trinke nicht einmal einen Liter Milch am Tag.
Immer, wenn so überaus große Dinge der Supermacht Schwerkraft erliegen, denke ich an meinen Wasserpott, rede ihn klein, auch, daß er einst mit dem schweren Wasser dort sehr lange schwebte sage ich mir, ach ja, die MIR. Dieses Ungetüm hat auch schon die Reise auf die Erdoberfläche absolviert.
Fünfzehn Jahre hat die Raumstation in über zweihundert Kilometer Höhe ihre Bahnen gedreht. Mein großer Wassereimer begeht bald seinen Hundertsten und wenn ich ihn mir so betrachte, wirkt er auf mich, wie eine fliegende Untertasse. Lange glaubte ich, es handelt sich um eine Kugel, doch als ich mir erlaubte, eine Öffnung in die Oberfläche zu flexen, erkannte ich die wahre geometrische Figur. Die Halbkugel ist noch durch einen über zwei Meter hohen Zylinder nach oben verlängert worden und besitzt keinen Deckel.
Mit kräftigen jungen Burschen, die Fridolin und Tom heißen könnten schleppte ich Balken hinauf und errichtete auf dem Behälterrand eine Plattform, die uns in fast zwanzig Metern Höhe den schönsten Blick durch das originale Oberlicht bietet. Kirchtürme von vier Dörfern, Wälder, Felder mit äsendem Wild, Seen und versteckte Gehöfte schmeicheln meinem Auge.
MIR läßt grüßen
Ausgang in die Unendlichkeit Doch auch der Aufenthalt im dunkelen Wasserreservoir hat seinen Reiz. Die akustischen Verhältnisse stacheln zum Singen und Musizieren an. Der Eisenriese gibt eigene, sogar unterschiedliche Töne von sich, wenn man nur laut genug seine Naturtonreihe benutzt. Ich spielte schon ein Duett auf meinem Waldhorn mit dem Wasserbehälter. Die Musik geriet mir jedoch außer Kontrolle. Der große Musikant schwang immer stärker und lauter bis er zu bersten oder abzuheben drohte. Seit dem schlage ich leisere Töne an und will auch nicht mehr spotten, wenn andere große Körper im Kampf mit der Schwerkraft versagen.
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26.3.2001